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Wo das Zebra auf das Hochhaus trifft

Mit ihren Rauminterventionen verleibt Corina Bezzola dem Raum neue Geschichten ein, lenkt unsere Blicke und verändert gewohnte Sichtweisen. Ihre Gesamtkompositionen, in denen sie Fotografie, Malerei und Dreidimensionales verbindet, bieten dem Betrachter gleichsam ein Schauen und Erleben.

In einem privaten Esszimmer hat die Künstlerin, die ihre Interventionen seit je in öffentlichen wie privaten Räumen, Studios, Ateliers und Galerien ansiedelt, 2012 eine Wandinstallation geschaffen, die sich gar auf alle vier Wände erstreckt. Einem Panorama gleich bietet diese ein Rundum-Raumerlebnis. Die Umgebung der privaten Wohnlandschaft erlaubt dem Betrachter ein unvoreingenommenes Schauen, Gastronomie und Bewegung prägen das Erlebnis in ungewohnter Weise! Die Verbindung von Kunst und Alltag scheint hier absolut gelungen, - man erinnert sich an das erklärte Ziel des Nouveau Réalisme, deren Mitglieder laut ihres Manifests von 1960 eine « neue Annäherung der Wahrnehmungsfähigkeit an das Reale » anstrebten. Bis dahin ungekannte Sichtweisen zu ermöglichen versuchte man auch mit dem im 19. Jahrhundert erfundenen Panorama. Dessen Bezeichnung leitet sich vom griechischen Wort für Allsicht ab („pan“: All und „horama“: Sicht). Umso signifikanter, dass die Schwarz-weiss Fotografien afrikanische Tiere, Spitzböcke und Zebras, aus einem Diorama, einem dem Panorama verwandten Medium für die Inszenierung von Tieren in ihrem natürlichen Umfeld, zeigen – neben flächigen, rosa und silberfarbenen Kuben, Hochhäusern in schräger Lage, und frei malerischen, ineinander tropfenden Übergängen. „La nature à coup d’œil“ - das zeigt auch Corina Bezzola in ihrer Wandinstallation, allerdings in ihrer heutigen Vielfältigkeit und all ihren Formen und Erscheinungen.

Bekannt wurde die Künstlerin mit ihren Interventionen mit Klebebändern, in denen sie durch Ziehen und Betonen von Linien neue Raumstrukturen in bestehenden Innenräumen einfügte. Daraus resultierten ungewohnte Dialoge zwischen Architektur und Mobiliar. Mit sorgsam konzipierter Fotografie setzte sie diesen Werkprozess fort, sodass bereits damals verschiedene Techniken und Dimensionen in ihren Arbeiten zusammenfanden.

Dieses Feld hat die Künstlerin nun entscheidend ausgeweitet, indem sie die Linien und Kuben ergänzt um Malereien [„Wall picture Berlin“, 2009, Ausstellungsraum Klingenthal] und Fototapeten oder gar ganz auf das Klebeband verzichtet, wie sie es zum ersten Mal in der gemalten Wandinstallation, dem „Wall painting“, 2012, [Galerie Luciano Fasciati, Chur] machte. Während die Farbelemente zunächst rein flächig und in geometrischen Formen erfolgten, experimentierte Bezzola bald mit kräftigeren Farben und freieren Auftragungen, verband luftige – leere – Stellen mit ausgefüllten, festen kubischen Elementen und Dripping-Malereien mit Acrylfarbe, die beinahe gehaucht aus dem Raum herauszutropfen scheinen. In diesen Kombinationen stehen zufällige Strukturen kontrastreich den strengen geometrischen und perspektivischen Formen gegenüber. Hinzu treten Fotografien, die gleichsam Teil der Installationen und von den geometrischen und malerischen Elementen überlappt werden. Damit bewirkt Bezzola eine Parallelität von flächigen und dreidimensionalen Wirkungen. Immer mehr verlässt sie den Raum der Zwischenstellen, die sich durch die Linien ergeben.

Bezzolas Installationen sind indes nicht nur ein fantasiereiches Spiel aus verschiedenen Materialien und Techniken, sondern laufen auch motivisch eingefahrenen Sehgewohnheiten zuwider. Die häufig erdtönigen geometrischen, nun ebenfalls gemalten Formen sind als architektonische Elemente aufzuschlüsseln. Perspektivischen Fluchtlinien folgend, teilweise aber in der Luft schwebend, wirken sie wie utopische Bauten und fragmentarische Bauelemente. Daneben zeigen die Fotografien häufig natürliche, in letzter Zeit auch urbane Räume, entweder schwarz-weiss oder farbig. In freien Kompositionen treffen so Stadtarchitekturen und Naturdarstellungen traumwandlerisch aufeinander. Die auf einer Seh-Ebene zusammengebrachten verschiedenen motivischen Bereiche gehören damit alle dem Aussenraum an, was bezeichnend ist, arbeitet die Künstlerin doch immer in Innenräumen.

Die Beschäftigung mit Aussichten aus Innenräumen tritt bereits mit Fotografien aus 2010 in deutlicher Erscheinung. In „View from a collector“ fotografierte die Künstlerin die Fenster-Aussichten aus den Wohnräumen von Sammlern. Die Fotografien der Ausblicke in die Natur blenden ihren Kontext – mit Kunstwerken angehäufte Räume – völlig aus, ist doch der Fensterrahmen bewusst nicht mit abgelichtet. Stattdessen zeigen sie das, was neben einer mit Kunst behangenen Wand zweitrangig erscheint. Die gelernte Rahmenvergolderin scheint uns damit an Pierre Bonnard und seine vielzitierte, provokative Äusserung zu erinnern: « Ce qui est le mieux dans un musée, ce sont des fenêtres. » Den Ausblick transformiert Bezzola allerdings mit der quadratischen Fotografie wiederum in ein Kunstwerk – um dem Werk der Natur Bedeutung zu verleihen.

Ein Ausblick anderer Art: Mit Durchbrüchen und Perspektiven spielen auch Bezzolas eigenständigen, in den letzten Jahren aufgenommenen Fotografien von romantischen Panoramen und Veduten wie dem antiken Rom. Zusammen mit ihren Reportagefotos aus dem In- und Ausland von atmosphärischen Räumen, - auch Innenräumen (!) - und Personen erweitert sie ihr Bildrepertoire, aus dem sie für ihre Arbeiten schöpfen kann, ständig. Ob und in welcher Form sie diese in ihre Installationen integrieren wird, darüber dürfen wir gespannt sein.

Céline Gaillard 2013