Meininger Tagblatt, 6.8.1998 Betrachter soll seine Freiheit behalten – Schweizer Gast im Künstlerhaus: Corina

Meininen (kh). Als Corina Bezzola vor zwei Jahren in Meiningen an der «Marstallation II» teilnahm, war dies nicht nur ihre erste, sondern eine ganz wichtige Begegnung mit Ostdeutschland. Nicht nur, weil für die damals 32-jährige Schweizerin die Begegnungs- und Schaffensform eines Symposiums fremd war. «Für mich war nach dem einwöchigen Symposium die Zeit in Meiningen innerlich noch nicht abgeschlossen», sagt sie in einem Gespräch mit der Heimatzeitung. «Ich habe hier einen starken Impuls gefühlt und deshalb nach einem Weg gesucht, diesen Aufenthalt und damit meine Begegnung mit dieser Stadt fortzusetzen.» Der Künstleraustausch zwischen der Meininger Kunstinitiative und der Basler Merian-Stiftung gibt ihr diese Möglichkeit. Bis zum Ende dieses Jahres wird sich Corina Bezzola nun im Gastatelier des Künstlerhauses in der Wintergasse aufhalten.

Erstmals öffentlich vorgestellt habe sie damals in der «Marstallation II» eine Rauminstallation mit farbigen Klebebändern, bei deren Gestaltung sie den feststehenden Heizkörper und das sich verändernde Lichtspiel mit einbezogen hat. Damit hatte sie das Atelier im klassischen Sinne verlassen, hat es erweitert auf zunächst leere, seit einem Jahr auf belebte Räume. «Das ist eine spannende Erfahrung», so Corina Bezzola. Mit diesem Eingriff in Lebensräume, dieser Markierung spüre sie Beziehungen von Menschen auf, Beziehungen in äusseren Situationen ebenso wie innere Bindungen. Sie nehme zuerst selbst den entsprechenden Raum in sich auf, um darauf in ihrer Art zu reagieren, zu antworten: mit farbigen Klebebändern. Auf diese Weise würden die Reaktionen zu künstlerischen Aktionen, zu einem Dialog, einer Wechselwirkung mit der Umgebung. «Es sind immer intuitive Reaktionen», erklärt die Künstlerin. Ob der Betrachter eben diese ihre Gedanken nachvollziehen kann, ist dabei zweitrangig. Jeder solle seine Freiheit beim «Sehen» im weitesten Sinne behalten.

Auf der Suche

«Der Zeitpunkt meines Aufenthaltes hier gerade jetzt ist gut und interessant», meint die Baslerin. «Diese Noch-Übergangssituation im Osten Deutschlands ist voll von Konflikten in Beziehungen zwischen den Menschen. Hier wird sich eine Fülle von Ansatzpunkten finden. Was konkret sie im Auge hat, kann sie so genau noch nicht benennen. Jetzt sei sie auf der Suche nach charakteristischen Orten, nach Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Dingen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit ...
Auch in welcher Form sie die Eindrücke verarbeiten und in eine künstlerische Gestalt bringen wird, muss im Kennenlernprozess reifen.

Im Kloster

Wie bei ihrem letzten Projekt, da sie in einem Kloster in der Nähe von Basel arbeitete, dort in einer ausgesprochen offenen und kunstfreundlichen Atmosphäre aufgenommen wurde, im Refektorium, in der Bibliothek und einer Zelle fotografieren durfte und die Ergebnisse dann im Klostergarten ausstellte. «Es war ein Ort voller Geschichte, geprägt von einer starken Atmosphäre, von vielen Spezifika, die ich – in anderer Form zwar – aber auch in Meiningen vermute».
Die Installationen mit farbigen Klebebändern gehen auf die von Corina Bezzola, die als Restauratorin erste wertvolle Erfahrungen gesammelt hat und von 1991 bis 1995 die Schule für Gestaltung in Basel und die Kunstakademie der Bildenden Künste in Wien besuchte, anfangs bevorzugte monochrome Malerei zurück. Die Reduzierung auf eine Farbe – zunächst auf verschiedenen Bildträgern und mit unterschiedlichsten Malmaterialien – findet nun ihr Ausdrucksmittel in den einfarbigen Klebebändern, im Grunde materialisierte Beziehungslinien.

Nichts ist nebensächlich

Einige Meininger haben die Schweizer Künstlerin schon auf ganz eigene Art entdeckt: Fotografierend durch die Stadt gehend, an dieser oder jener Ecke stehen bleibend, sich sogar für Steinhaufen und anderes scheinbar Bedeutungsloses besonders interessierend – auf der Suche nach Spuren, um auf diese reagierend zu antworten. Am Ende des Jahres wird sie in einer Ausstellung öffentlich machen, was sie in diesem Jahr in Meiningen entdeckt, bewegt, bewundert, beeindruckt, beschäftigt hat.

K. Herzog

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